Gibt es das Kind mit UEMF?

von Angela Nacke
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Heterogenität

Ein klares Nein! Es gibt nicht das Kind mit UEMF.

Die Profile von Kindern mit UEMF sind heterogen und abhängig vom Alter und Geschlecht des Kindes. Ein weiterer Faktor ist der Schweregrad der Störung, gemessen an den Testergebnissen in einem motorischen Testverfahren. Aber auch dieser gemessene Schweregrad ist nicht ausschlaggebend, sondern vor allem der Schweregrad der Beeinträchtigung im Alltag. Ein weiterer Unterschied lieg in der Art des Defizits. Hat das Kind eher Mühe in der Haltungskontrolle / Balance oder in der Lokomotion, z.B. der Laufgeschwindigkeit? Manche Kinder zeigen auch eher Schwierigkeiten in der Objektkontrolle, z.B. in der Ballgeschicklichkeit oder in der Fein- / Grafomotorik. Ist besonders die Handgeschicklichkeit betroffen und lässt sich das durch Testergebnisse nachweisen, kann gemäss der ICD-10 auch die Diagnose F82.1 vergeben werden. Einige Kinder zeigen zusätzlich noch Schwierigkeiten in der Wahrnehmungsverarbeitung. Letztendlich spielt auch die Umwelt eine grosse Rolle. Wichtig, auch in Hinblick auf das Einleiten von Interventionen, ist zudem die psychische Befindlichkeit des Kindes.

Komorbiditäten

Typisch für Kinder mit UEMF ist das Auftreten von Komorbiditäten / Begleitstörungen.

Bei 50% der Kinder oder mehr ist die häufigste Begleitstörung einer UEMF das ADHS (Blank et al., 2019). Bei einer Überlappung von ADHS und UEMF ist die Prognose deutlich schlechter. Es zeigen sich langfristig mehr antisoziale Persönlichkeitsstörungen, Alkoholmissbrauch, Straftaten und ein insgesamt niedriges Bildungsniveau (Rasmussen und Gilberg, 2000). Gillberg hat darum 2003 ein Störungsbild beschrieben, dass diese Verbindung von Aufmerksamkeitsstörung und motorische Schwierigkeiten beschreibt. Er beschreibt DAMP: Deficits in attention, motor control and perception, d.h. hier werden auch die Probleme in der Wahrnehmungsverarbeitung benannt. Allerdings konnte sich «DAMP» in der internationalen Fachwelt nicht durchsetzen.

Bis zu 70% der Kinder mit einer Spracherwerbsstörung zeigen als Komorbidität eine UEMF. Zudem zeigen sich als Begleitstörung diverse Lernstörungen, wie Lese- und/oder Schreibprobleme, mathematische Lernschwierigkeiten und Gedächtnisprobleme. Auch Autismus-Spektrum-Störungen können mit einer UEMF assoziiert sein (Blanc et al., 2019). Zusätzlich treten auch gehäuft ophthalmologische Probleme auf, diese müssen erkannt werden, insbesondere, wenn Kinder mit UEMF Lese- und/oder Schreibschwierigkeiten zeigen (Blanc et al., 2019).

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Eine Störung des sich entwickelnden Gehirns?

Kaplan et al. (2001) kritisieren den Begriff Komorbidität wegen seiner unbegründeten Vermutung unabhängiger Ätiologien. Ihrer Publikation lagen Daten von 179 Kindern im Schulalter zugrunde, die anhand von Forschungskriterien sieben verschiedenen Störungsbildern zugeordnet werden konnten: Störungen des Lesens, ADHS, UEMF (DCD), oppositionelles Verhalten, Verhaltensstörung, Depression und Angststörung. Insgesamt 50% der Kinder erfüllten die Kriterien für mindestens zwei Diagnosen. Kinder mit ADHS hatten im Vergleich zu den Kindern mit einer Lesestörung ein höheres Risiko mindestens eine zweite Diagnose aufzuweisen. Wegen dieser hohen Überlappungsrate der aufgeführten Störungen kritisieren Kaplan et al. (2001) das Konzept der Komorbidität. Sie postulieren, dass sich die hohe Überlappungsrate besser durch ein Konzept der atypischen Gehirnentwicklung erklären lässt.

Gibt es die Therapie für Kinder mit UEMF?

Jedes Kind mit einer UEMF zeigt ein sehr individuelles Profil. Bei der Einleitung von therapeutischen Massnahmen muss diese Individualität berücksichtigt werden.

Literatur

Blank, Rainer; Barnett, Anna L.; Cairney, John; Green, Dido; Kirby, Amanda; Polatajko, Helene et al. (2019): International clinical practice recommendations on the definition, diagnosis, assessment, intervention, and psychosocial aspects of developmental coordination disorder. In: Developmental medicine and child neurology 61 (3), S. 242–285.

Gillberg, C. (2003): Deficits in attention, motor control, and perception: a brief review. In: Archives of disease in childhood 88 (10), S. 904–910. 

Kaplan, B. J.; Dewey, D. M.; Crawford, S. G.; Wilson, B. N. (2001): The term comorbidity is of questionable value in reference to developmental disorders: data and theory. In: Journal of learning disabilities 34 (6), S. 555–565. 

Rasmussen, P.; Gillberg, C. (2000): Natural outcome of ADHD with developmental coordination disorder at age 22 years: a controlled, longitudinal, community-based study. In: Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry 39 (11), S. 1424–1431. 
 



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